Gedankenspiele über den kommenden Winter 2016/17

Signale für einen kalten Winter?
Einschätzungen zum Winter-Trend
Von Jörg Hoffmann, Wetterstation Eiweiler

Alle Jahre wieder stellt man sich die Frage, welcher Charakter der kommende Winter haben könnte. Ist er eher atlantisch-mild geprägt und richtiges Winterwetter bleibt nur Zaungast oder gibt es häufig Kältewellen aus Osten, mit viel Schnee und strengen Frösten? Darauf eine verlässliche Antwort zu geben, ist eigentlich unmöglich.

Auch wenn es heute schon Langzeitprognosen für mehrere Monate im Voraus gibt, so ist dies natürlich nicht mehr als ein Versuch der Modelle, der chaotischen Atmosphäre in die Karten zu schauen. Dennoch ist es abseits der Modellwelt für Wetterforscher spannend und interessant aufgrund von zahlreichen Witterungs- und Bauernregeln, Statistiken, Verhaltensmuster und Großwetterlagen, die bestimmte Schlussfolgerungen zulassen, über mögliche Optionen für den Winter zu philosophieren und spekulieren, um einen gewissen Trend abzuleiten. 

Dieser Blick hinter die Kulissen der eigentlich von Natur aus recht chaotischen Wetterwelt, lässt bei genauer Betrachtung gewisse Gesetzmäßigkeiten erkennen. In folgender Analyse will ich versuchen, einen möglichen Trend für den kommenden Winter zu entwickeln. 

Dass gerade durch den Klimawandel in nächster Zeit die Winter eher wieder kälter werden könnten, ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Denn nach Berechnungen der Computermodelle soll es durch die globale Erwärmung bedingte Eisschmelze in der Arktis zu einer Umstellung der Zirkulation vor allem im Winterhalbjahr kommen. Die Westdrift und damit die atlantische Tiefdrucktätigkeit werden in der Folge schwächer, weil durch die Erwärmung die Temperaturgegensätze zwischen der Polarregion und den Subtropen geringer werden. Es kommt auch zu vermehrter Ausbildung von Hochdrucklagen über dem Nordmeer und dem Atlantik. Somit kann die Winterkälte leichter bis nach Europa vordringen.
Ausschlaggebend für den Charakter unserer mitteleuropäischer Winter, die in der Regel atlantisch geprägt werden und daher oft mild ausfallen, sind die Zirkulationsmuster über dem Nordatlantik, sowohl des Wassers als auch der Luft. Hauptverantwortlich für die großräumige Zirkulation in unserer „Wetterküche“ ist die so genannte Nordatlantik Oszillation, vereinfacht „NAO“ genannt. Darunter versteht man die regelmäßige Schwankung der großräumigen Luftdruck- und Zirkulationsverhältnisse über dem Nordatlantik, die das Klima in Europa maßgeblich beeinflussen. Als Indikator für die Intensität dieser Zirkulation dient der Luftdruckunterschied zwischen Island mit der Bezugsstation Stykkisholmur, und den Azoren mit der Bezugsstation Ponta Delgada.

Die Schwankung der Druckverhältnisse zwischen Islandtief und Azorenhoch drückt der NAO-Index aus. Man kann den NAO-Index auch als die Druckschaukel zwischen Islandtief und Azorenhoch bezeichnen. Gerade im Winterhalbjahr besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem NAO-Index und den Temperaturen in Mitteleuropa. Ist der NAO-Wert hoch (postiv), wenn also das Islandtief stark ausgeprägt ist, dominiert eine kräftige Westdrift und es gibt milde, regenreiche Winter. Umgekehrt verhält es sich bei negativen NAO-Werten, dann ist das Islandtief entsprechend schwach oder nicht vorhanden, die Westströmung daher nur schwach ausgeprägt, was kalte Winter begünstigt, weil sich Kaltluft längere Zeit festsetzen kann.

Die Großwetterlage an der Schwelle vom Spätherbst zum Frühwinter ist derzeit so spannend wie schon lange nicht mehr. Auf der gesamten Nordhalbkugel sind ungewöhnliche Dinge im Gange:

Die komplette nordhemisphärische Zirkulation scheint Kopf zu stehen; der Polarwirbel schwächelt seit Wochen, weswegen es in der Arktis derzeit bis zu 20°C wärmer als normal ist, während in Sibirien im November eisige Kälte mit negativen Abweichungen von ebenfalls bis zu 20°C vom Mittel herrscht. Dort hat sich zu diesem frühen Zeitpunkt schon ein gewaltiges Kaltluftreservoir angesammelt. Ganz im Gegensatz zu den letzten Jahren, als sich die meiste Kaltluft auf der Nordhalbkugel über Nordamerika und Kanada eingenistet hat und dadurch auch der Tiefdruckmotor über dem Atlantik immer wieder so penetrant angefacht wurde, was schließlich auch die Hauptursache für die drei letzten, viel zu milden Winter in Folge gewesen war, scheint sich diesmal der Kältepol im Raum zwischen Grönland und Sibirien anzusiedeln.
Der Polarwirbel ist von großer Bedeutung für die Witterung im Winter auf der Nordhalbkugel. Vereinfacht ausgedrückt, steuert der Polarwirbel die Zugbahnen und Stärke der Tiefdruckgebiete und besonders die Temperaturverteilung vom Nordpol bis zu den mittleren Breiten.

Ist der Polarwirbel stark und intakt, gibt es kräftige Tiefs, so dass milde Westwetterlagen über Europa dominieren, die für einen milden Winter sorgen. Ist der Polarwirbel jedoch nur schwach ausgeprägt, bleiben dementsprechend auch die Tiefs schwach und es kommt zu einer Hochdruckdominanz, wodurch sich verstärkt Ostwetterlagen etablieren und kräftige Kaltlufteinbrüche von Norden und Osten möglich sind. Es kommt dann zu einem durchschnittlichen bis kalten Winter in unseren Breiten.

Sollte der Polarwirbel auch in den nächsten Wochen und Monaten dauerhaft so schwach bleiben, wie es derzeit der Fall ist, oder sollte er sogar vollständig zusammenbrechen (Polarwibel-Splitts) – das war übrigens eine der Ursache für die strengen Winter der Vergangenheit – hätte das weit reichende  Folgen für die Wetterentwicklung in Europa.
Große, blockierende Hochdrucklagen im Raum Grönland und Island, die sich über Skandinavien bis nach Russland erstrecken, werden dann wahrscheinlicher und so erhöhen sich die Chancen für ausgeprägte Trogvorstöße aus Norden, die heftige Kälteeinbrüche mit Schnee und Dauerfrost mit sich bringen. Allein von der Struktur der Großwetterlage sind die Vorzeichen auf einen eher kalten Winter diesmal so günstig wie schon lange nicht mehr.
Die Großwetterlage in diesem Herbst zeigt verblüffende Ähnlichkeiten mit der Witterung im Spätherbst der Jahre 1946 und 1962, auf den damals die kältesten Winter des Jahrhunderts folgten. Auch damals verliefen, ähnlich wie heute, der September warm und der Oktober kühl. Rein aus den Witterungsregeln hätte daraus eigentlich ein eher milder Winter folgen sollen, doch das genaue Gegenteil war der Fall.
So sieht man wieder, dass jede Regel eine Ausnahme besitzt, und vor allem ganz wichtig, strenge und extreme Winter halten sich nicht die üblichen Gesetzmäßigkeiten. Länger währende und durchweg kalte oder strenge Winter kommen oft auf leisen Sohlen und unscheinbar. Oft dümpelt die Wetterlage im Spätherbst, also in der Übergangsphase zum Winterhalbjahr, vor sich hin und es gibt nur kurze Grüße vom milden Atlantik. Die richtigen, nachhaltigen Kaltlufteinbrüche folgen dann erst im Verlauf des Dezembers.

Ganz so ähnlich könnte es auch in diesem Jahr verlaufen, denn die Voraussetzungen dafür sind gegeben: Im Oktober herrschte eine wochenlange Hochdrucklage und eine Art Unterbrechung der Blockadelage zur Monatsmitte im November mit einem kurzen Aufbäumen der Westströmung mit Regen und milder Luft passt genau in das Grundmuster vor einem kalten Winter.

Alle namhaften Langfristmodelle, die man natürlich mit großer Vorsicht genießen sollte, sahen vor Wochen noch einen sehr milden Winter voraus, aber nach der Witterung im Oktober und November sind die Modelle wieder total zurückgerudert und gehen eher Richtung weniger mild bis normal, manche auch kalt, weil sich mittlerweile die Vorzeichen geändert haben. Der eigentliche Bruch in der Modellwelt verursachte der hochdruckgeprägte Oktober und der nicht mehr intakte Polarwirbel, der eine gestörte Zirkulation hervorruft. Die Großwetterlage Ende November ähnelt ungefähr derjenigen von November 2010, als mit dem Dezember ein historisch kalter und extrem schneereicher Monat gefolgt ist. Doch ausgerechnet im Januar war damals der bis dahin strenge Winter mit einer milden Südwestlage schlagartig vorbei. Der Winter kam vor 6 Jahren relativ schnell und brachial, wurde jedoch ebenso brachial wieder ad acta gelegt.
Neben dem aktuell nicht intakten Polarwirbel ist auch der über weite Strecken ruhige und hochdruckgeprägte Herbst im September und Oktober ein weiteres Anzeichen für einen eher kalten Winter.
Ein weiterer, wichtiger Randfaktor für die Qualität unserer Winter ist die aktuelle Schneebedeckung auf der Nordhalbkugel, die den zweithöchsten Wert im November seit 50 Jahren erreicht hat, was auch Auswirkungen auf die Großwetterlage der kommenden Wochen und Monaten haben kann. Je mehr Schnee in Sibirien und Nordeuropa liegt, umso kräftiger baut sich dort ein Kältehoch auf, das den Polarwirbel weiter schwächen kann. Insofern ist die großräumige Verteilung von Hochs und Tiefs völlig anders als in den Vorjahren – die Ausgangslage für einen richtigen Winter erweist sich diesmal als recht günstig. Die Erhaltungsneigung einer Großwetterlage im Oktober spielt eine große Rolle. Gerade die Wetterlagen aus dem Oktober wiederholen sich gerne in den Hochwintermonaten Januar und Februar. Da der Oktober 2016 durch eine überaus stabile Hochdruckdominanz gekennzeichnet war, würden ähnliche Hochdrucklagen im Januar und Februar aus Osten Kälte und strengen Frost bescheren. Eine ähnliche Witterung im Herbst trat auch 2008 bis 2010 auf und dann folgte ein kaltes Winter-Trio. Die eigentliche Weichenstellung für den Winter erfolgt in der Regel im Verlauf des Dezembers – etwa Mitte Dezember entscheidet sich häufig, wohin der Weg des Winters geht.
Hat sich zu diesem Zeitpunkt kein nachhaltiger Kälteeinbruch eingestellt und ist eine atlantische Westlage dominant, so ergeben sich kaum Chancen für eine längere Kälteperiode im Winter. Nach einer Untersuchung des Klimaforschers F. Baur (1887-1977), der die Auswirkungen einer Großwetterlage auf die langfristige Wettervorhersage  untersucht hat, folgt auf eine milde, erste Dezemberhälfte zu 82 % ein insgesamt milder Winter.

Aufgrund der Analyse aller wichtigen Faktoren, Witterungsregeln und Wettermuster erscheint aus heutiger Sicht ein milder Winter nach meiner Meinung wenig wahrscheinlich, vielleicht sogar nahezu ausgeschlossen. Vielmehr deutet die Ausgangslage eher auf einen durchschnittlichen, also normalen Winter hin, den wir aufgrund der Klimaerwärmung aber subjektiv als kalt empfinden werden. Aber es gibt durchaus Hinweise, dass der Winter zu kalt oder richtig streng werden könnte. Ich rechne in diesem Fall damit, dass mindestens zwei der drei Wintermonate zu kalt werden können.

Folgendes Wettermuster könnte sich öfters einstellen:

Hoher Luftdruck im Raum Grönland/Island bis Nordeuropa und Mitteleuropa, tiefer Luftdruck im Bereich Südwesteuropa und westlichem Mittelmeer sowie Südosteuropa, was häufig Trogwetter-lagen mit Kaltlufteinbrüchen aus Norden und Nordosten verursachen kann. Der Dezember könnte durchschnittlich bis leicht zu kalt verlaufen, kurze milde Einschübe vom Atlantik sind möglich, dennoch könnte er sich über weite Strecken winterlich zeigen. Januar und Februar haben gute Chancen richtig kalt und streng zu verlaufen.

Ein Blick in die Statistik der Eiweiler Messreihe seit 1989 zeigt, dass 12 von 27 Winter zu kalt ausfielen, genau ein Winter (2001/02) lag im Durchschnitt und 14 waren zu mild, wobei davon drei extrem mild ausfielen (der absolute Rekordhalter 2006/07 als wärmster Winter aller Zeiten sowie die  Winter 2013/14 und 2015/16 auf dem zweiten und dritten Platz).

Die Zeit wäre mal wieder reif für einen strengen Winter, so wie es ihn Mitte der 1980er und Mitte der 1990er Jahre gegeben hatte.

Die Gedankenspiele zum Winter sind natürlich nur als eine grobe Einschätzung des Autors zu werten und nicht als reine Vorhersage zu sehen. Sie sollen vielmehr für den Laien und alle Wetter-Interessierten  einen kleinen Einblick in die spannende Welt des Wetters geben, abseits der üblichen  Kurzfristprognosen.

Eiweiler, den 27. November 2016
Jörg Hoffmann